Nach der Oper – Spuren und Echos

In den allzu großen Fußstapfen von Christoph Schlingensief: Über „Nach der Oper. Würgeengel“ in einer Inszenierung von Martin Wuttke.

Das ist schon sehr merkwürdig: Sonst gibt man sich Mühe, Einspielungen wie Live klingen zu lassen und hier gibt man sich Mühe, Live-Darbietungen wie Einspielungen klingen zu lassen. Beim Liebestod war ich mir sicher, dass er vom Band kam. So voll der Klang, so schön die Stimme, aber im Hintergrund immer wieder so ein leises Störgeräusch, so ein Knacken und Knarren wie bei alten Aufnahmen. Doch weit gefehlt, die Töne kamen nicht vom Band, sondern aus der Kehle von Hege Gustava Tjoenn. Und neben ihr glänzten auch noch Agnes Palmisano, Martin Mairinger und Duccio Dal Monte, wie ich nachher dem Programmheft entnehmen konnte. Die Musik hingegen, die kam tatsächlich teilweise vom Band.

„Nach der Oper“ erinnert mich von der Machart her sehr stark an Schlingensiefs „Mea Culpa“. In Mea Culpa hat sich Schlingensief im Parsifal gespiegelt, in „Nach der Oper“ versucht es Wuttke nun mit „Tristan und Isolde“. Nebenbei erwähnt, obwohl es bei Mea Culpa um den Parsifal geht, ist die Schlussnummer ebenfalls der Liebestod. Hier wie da der Einsatz von Videoprojektionen, Orchester, Sängern und Schauspielern. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass es bei „Nach der Oper“ nur ein kleines Kammerorchester ist, das eben von Bandmusik verstärkt werden muss, ist es ein Riesenaufwand für die kleine Spielstätte des Kasinos.

Soviel zu den Gemeinsamkeiten. Nun aber zu den Unterschieden. Schlingensief hatte nämlich tatsächlich etwas zu sagen. Es war nicht einfach ein Regie-Gag, dass er seine Krebserkrankung im Schicksal des Parsifal bzw. Amfortas gespiegelt hat. Sondern eine aus Biographie und Werkgeschichte nachvollziehbare Wahl. Es war ein Stück, das trotz mancher Provokationen und Blasphemien berührt hat, nachdenklich gemacht hat, ohne jemals rührig oder gefühlsselig zu sein. Ich habe Mea Culpa dreimal gesehen und ich hätte es mir noch viel öfters angesehen, wenn es nicht plötzlich vom Spielplan verschwunden wäre.

Bei Wuttkes „Nach der Oper“ fehlt so eine nachvollziehbare Rückbezüglichkeit. Ich betone „nachvollziehbare“, vielleicht gibt es eine, aber dann hat er sie weder genannt noch im Werk thematisiert. Statt Dialoge über existentielle Fragen wie bei Schlingensief gibt es bei Wuttke geschraubte Monologe von postmodernen Philosophen. Selten zuvor hat das so langweilig, so nichtssagend, so leer und hohl geklungen. Ja, selbst der einzige irgendwie originelle Gedanke, er stammt von Slavoj Zizek, war schon in Mea Culpa zu hören: „Zuerst flüchtet man von der Realität in den Traum, weil man die Realität nicht aushalten kann und dann flüchtet man vom Traum in die Realität, weil man den Traum nicht mehr aushalten kann.“ Ja, das ist gut gesagt und das ist irgendwie auch tiefsinnig, aber ein Satz reicht wohl doch nicht für einen 3-stündigen Theaterabend. Der Rest der Texte jedoch ist Windhauch, nichts als Windhauch.

Was hat der Tristan nun mit Bunuels Würgeengel zu tun? Mir ist das jedenfalls nicht klar geworden. Bunuels Film gibt die Szenerie ab und in dieser Szenerie werden Tristan, Todessehnsucht und Liebestod zur Aufführung gebracht. Warum aber und wozu? Wenn das der Versuch gewesen sein soll, den Tristan Mythos durch Spiegelung in der blasierten Bunuel Bourgeoisie zu dekonstruieren, dann ist das gründlich schief gegangen. Der Tristan Akkord allein ist tiefsinniger, gehaltvoller, vielschichtiger, interpretationswürdiger als alle Schriften aller Postmodernisten zusammen.

Trotzdem halte ich solche Cross-Over Projekte für spannend und wichtig. Mea Culpa hat funktioniert, Nach der Oper ist ehrenvoll gescheitert. Macht nichts, ich will mehr solche Sachen sehen. Und natürlich soll man sich auch „Nach der Oper“ ansehen, allein schon wegen des Liebestodes am Schluss.

von szh60y     @ 2012-03-13 – 00:01:38